Konzertberichte

Okkervil River - 24. Mai 2006, Chelsea Wien

okkervil

"Ausverkauft" informiert ein über der Kartenabreisserin befestigter Zettel, und tatsächlich habe ich das Chelsea an einem Wochentag noch nie so voll erlebt. Ungewohnt aufwändig gestaltete sich dann auch das Einnehmen einer bequemen und klang- und sichtgünstigen Stehposition.

Um 21:30 sollten das Konzert beginnen, und als mehr als eine halbe Stunde später noch immer nichts von der Band zu sehen war, äußerte sich die schon länger spürbare Ungeduld des Publikums in lauten, und offenbar wirkungsvollen Pfiffen - tatsächlich stand das sympathische texanische Sextett wenige Minuten später auf der Bühne. Ohne Zögern schnappte sich der Keyboard/Trompeten-Mann sein Blechblasinstrument um die Aufstellung der restlichen Band stimmungsvoll zu begleiten.

Das Wechseln zwischen schnellen und langsamen Songs, das auf der Platte für Spannung sorgt, hatte ich mir live irgendwie ermüdend vorgestellt, tatsächlich funktionierte aber alles wunderbar. Im einen Moment schreit uns Will Sheff noch voller Zorn und Verzweiflung seine Ängste entgegen, in nächsten lädt er uns zum Mitschunkeln ein, wobei sich das Songmaterial hier nicht minder düster und schmerzvoll ausnimmt.

Ein Okkervil River Konzert ist zu einem großen Teil eine Will Sheff-Show, der charismatische Sänger scheint mit seinen jungenhaften Bewegungen drei viertel der Bühne einzunehmen. Er legt auch großen Wert auf die Zustimmung des Publikums, und weil ihm der Applaus offenbar nicht laut genug war, versucht er zwei Mal, uns mit einem "Are You Convinced?" zu lautstarker Bestätigung zu bewegen, was irgendwie misslingt. "Well we are convinced", tröstet er sich und die Band. Wir doch auch, Will, nur beklatschen wir halt lieber deine Songs, als dass wir solchen Aufforderungen nachkommen.

Nach 60 minuten schleichen sich die Jungs mit einem halbherzigen Abschied von der Bühne und die Leichtigkeit, mit der sie uns den Rücken zuwenden, gibt einem die Gewissheit, dass da noch mehr kommt.

Im zweiten Teil des Sets fällt vor allem die Redseligkeit von Will Sheff auf, der seine Liedern nun mit längeren Geschichten einleitet und so den oft bemühten Conor Oberst Vergleich ein wenig nachvollziehbarer macht. Als die Bühne fünf Songs später dann endgültig geräumt wird, ist man fast ein wenig froh darüber, dass man sich nun bei einem Bier von einem wundervollen aber dank der fortwährenden Zurschaustellung von Verwundbarkeit auch aufwühlenden Konzertabend erholen darf.

Okkervil River - Kathy Keller [mp3]
Okkervil River - Westfall [mp3]
Okkervil River - For Real [mp3]

The Pete And Adam Show

pete

Nachdem dem mein Review wie üblich reichlich spät daher kommt, nehme ich an, dass die meisten bereits aus anderen Quellen erfahren haben, was sich da in der Nacht von Sonntag auf Montag im Flex abgespielt hat. Ich erlaube mir daher, gleich auf den Punkt zu kommen: Vergesst alles, was euch irgendwelche alternden Berufszyniker über diesen Abend erzählen wollen. Er war unglaublich, unvergesslich, eineinhalb Stunden pure Glückseligkeit. Man verließ das Flex mit dem sicheren Gefühl, Zeuge von etwas Einzigartigem geworden zu sein - ein Konzerterlebnis, wie es intensiver nicht vorstellbar ist.

Was die allgemeinen Euphorie, die gegen Ende vorherrschte, zusätzlich nährte, waren wohl die niedrigen Erwartungen, mit denen man das Flex betreten hatte. Die Konzertpolitik Dohertys kannte man nur zu gut - selbst wenn er auftreten sollte, würde das Dargebotene wohl kaum über ein halbstündiges Geschrammel hinaus gehen, dachte man. Mit entsprechenden Zweifeln hat man die 15 € hingelegt.

Überraschend war dann erstmal, dass der Auftritt mit lediglich 30 minütiger Verspätung begann. Außerdem der vergleichsweise wache Bewusstseinszustand und die gute Laune Dohertys, vor allem aber der Charme, den er noch immer besitzt und die Ungezwungenheit, die seinen Umgang mit dem Publikum auszeichnet. Dass er dieses liebt, wurde nicht erst offenkundig, als er bat, ihm auf der Bühne Gesellschaft zu leisten. Der Abschied fiel ihm entsprechend schwer, und nach dem Hinweis auf einen am folgenden Tag anstehenden Drogentest verteilte er noch schnell seinen Biervorrat und schickte uns dann nach Hause.

Was diesen Abend aber so besonders und richtiggehend spannend machte, war die komplette Planlosigkeit, die vorherrschte. Ein halbes Dutzend Mal verschwand Doherty im Backstage Raum, niemand wusste wann und ob er die Bühne noch einmal betreten würde. Mehr als einmal glaubte man, das sei's nun gewesen, doch dann stand er plötzlich wieder da und stimmte ein Lied an. Völlig chaotisch ging es dann nach dem Zwischenspiel mit Adam Green zu. Eine Gitarre ging durch die Hand eines ungehaltenen Fans zu Bruch, Petes Bad im Publikum missglückte irgendwie, und auf der Bühne war ein unüberschaubares Kommen und Gehen von Künstlern und Publikum zu beobachten. Dem die meisten mit Unglauben und großer Euphorie folgten, bevor sie dankbar und überwältigt den Heimweg antraten.

Desert ist eating us ...

calexico

Ich löffelte gerade Polenta (Diät, frage nicht), als ich auf der fm4-Webseite auf die Ankündigung stieß, Calexico werde am Freitag in Wien ein Radio-Konzert spielen. Wie das bei diesen fm4-Radiosessions üblich ist, gibt's die Karten nicht zu kaufen, sondern nur zu gewinnen; Thema des zu diesem Zweck ausgeschriebenen Kreativ-Wettbewerbs war die Wüste, der meine Mahlzeit in Farbe und Konsistenz nicht ganz unähnlich ist, wie mir sogleich auffiel.

Zwar reagierten meine Mitmenschen auf das anschließend enstandene Bastelwerk nicht gerade mit Entzücken oder Begeisterung, die Jury aber honorierte meine Einsendung mit zwei Eintrittskarten. Der morgige Abend wird der vierte, den ich mit den Wüstenfüxen verbringen darf!

Mich surfend auf das Konzert einstimmend, bin ich gerade auf dieses Joy Division Cover gestoßen, das die eigentlichen Langsamkeitsliebhaber beinahe im flotten Original-Tempo spielen:

Calexico - Love Will Tear Us Apart.mp3

Art Brut im Flex

Art-Brut

Art Brut haben ihre Versprechen gehalten: Witz, Charme, und Herzlichkeit, sowie Plauderei und Tuchfühlung mit dem Publikum; Frontman Eddie Argos trug seine Alltagserlebnisse mal schlaff und gelassen, mal übermütig und enthusiastisch vor, und wirkte dabei immer natürlich. Auch so gekünstelt anmutende Aktionen wie das demonstrative Trinken aus einer Kaffeetasse konnten seiner Authentizität nichts anhaben.

Zwischen den textlich oft leicht variierten Liedern ("There's not much glamour 'bout the Austrian weather") nahm sich Argos Zeit, um das Publikum mit seinem treuherzigen Blick eingehend zu betrachten, bestrebt, Gesichter zu erkennen, was im offenbar gelang: "I recognize some of you!" Die Priviligierten (fm4-Menschen), die dem eigentlich Marketing-Trotteln vorbehaltenen Auftritt der Band auf der Xbox-Party im Dezember beiwohnen durften, wurden gefragt, wer von ihnen denn nun eine Band gegründet hat, wie Argos es ihnen damals aufgetragen hatte.

Sehr freundliche Menschen, die von Art Brut. Wie gesagt, alles da, eigentlich. Vielleicht lags ja auch nur an meinem schlechten Platz im ausverkauften Flex, das bei so vielen Menschen unerträglich ist, aber irgendwie ließ mich das Konzert unbefriedigt zurück.

Wie würde Eddie Argos an meiner Stelle vielleicht sprechsingen:

rock'n roll concerts frustrate me
there's not much to see, when your just 1,70!

Franz Ferdinand + The Rakes in der Stadthalle

franz

Die folgende Nachricht in meiner Mailbox veranlasste mich dazu, meinen Vorsatz, nur noch auf Konzerte mit weniger als 200 Leuten zu gehen, zu verwerfen:

******* (TV-Sender) gratuliert!
Du hast soeben 2 Konzertkarten für die "Franz Ferdinand", am 15. Dezember in der Wiener Stadthalle gewonnen.


Am Donnerstag nahmen mein Begleiter und ich nach längerem Anstehen am Presseschalter mit leichter Enttäuschung zu Kenntnis, dass es sich bei den gewonnen Karten um Sitzplätze handelte. Mit sehr eingeschränkter Bewegungs- und Konsumierungsfreiheit (Rauchverbot) wohnten wir dem gelungenen Rakes Auftritt bei und schmiedeten gleichzeitig Pläne, um pünktlich zum Hauptact vor der Bühne zu stehen.

Die Rakes spielten etwas mehr als eine Handvoll Songs ihres überzeugenden Debüts; optisch bemerkenswert war vor allem der Tanzstil des Sängers, dessen Oberkörper die wildesten Verrenkungen vollführte - da wurden Fäuste und Ellbogen in einer Manier geschwungen, die unweigerlich zu Ian Curtis Vergleichen führte.

Der vom aufreibenden Leben zwischen Ausgehen und Arbeit erzählende Song „Work Work Work“ wird mit den Worten „this is for the junkies out there“ angekündigt und vom Publikum jubelnd aufgenommen, ebenso „22 grand job“ – beides Singleauskoppelungen und damit Radiomaterial.

Looks Like We Made It

Inzwischen befinden wir uns am Parkett (nicht nur B. kennt Tricks) und beobachten, wie FF die Bühne betritt, während aus den Boxen das pathetische „The Fool“ von Neutral Milk Hotel erklingt (das beste Lied des Abends ( ; ). Losgelegt wird mit „This Boy“, dann wird erst mal brav zwischen neuen und alten Liedern gewechselt; Nach fünf Songs greift Alex Kopranos zur Akustik Gitarre, um die verhältnismäßig balladesken Stücke aus dem FF Werk vorzutragen: Walk Away und Eleanor Put Your Boots On.

Nachdem bisher alles etwas steif gewirkt hatte, quittiert die Menge die ersten Takte von Take Me Out mit Jubelschreien. Es folgen einige Songs vom ersten Album, deren Kenntnis das Publikum mit erhöhten Tanz- und Mitsingaktivitäten demonstriert und in deren Verlauf die bis dahin sehr durchdacht wirkende Show an Lockerheit aber auch an Leidenschaft gewinnt; FF wird von den charmanten Kunststudenten zu einer mitreissenden Rock Band, deren Energie trotz des breiten Publikums auf die gesamte Stadthalle übergeht. Da werden Einsätze verpasst, das Drumset wird plötzlich von sechs Händen bearbeitet und Oberfranz Alex besteigt die Base-Drum, um das 40 Ft. Intro mit dem Rücken zum Publikum zu spielen.

Alle Zweifel, die Stadthalle könnte eine Nummer zu groß sein, räumen FF spätestens mit der letzten, fast brachial gespielten Zugabe This Fire aus. Ein großartiges Konzert!

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Meine Kommentare

it did.
http://diditleak.co.uk/
assotsiationsklimbim - 12. Jan, 19:24
"hour long documentary"?
wo sind denn die restlichen 50 min? oder endet's nur...
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